15.09.2021 – Kategorie: Digitale Transformation
Kundenbindung: Die Energiebranche braucht mehr Mut für zeitgemäßes Auftreten
Digitale Kundenbindung gewinnt auch für Unternehmen aus der Energiebranche immer mehr an Bedeutung. Vor allem Loyalty-Programme sind dabei eine Möglichkeit, um die Beziehung zum Kunden nachhaltig zu stärken. Aktuelle Studien zeigen allerdings, dass Kunden mit den bisherigen Vorteilsprogrammen immer unzufriedener sind.
Wie kann es Energieunternehmen in der Zukunft gelingen, Kunden für bestimmte Aktivitäten zu belohnen, um diese an sich zu binden? Im Interview erklärt Daniel Girl, CEO der DGMK Deutsche Gesellschaft für multimediale Kundenbindungssysteme mbH, wie sich die Entscheidungswege der Kunden im digitalen Zeitalter verändern und welche Möglichkeiten sich daraus für eine erfolgreiche Kundengewinnung und die nachhaltige Kundenbindung ergeben.
Als Experte für digitale Kundenbindung kennen Sie sicher die These, dass gerade deutsche Unternehmen die Digitalisierung verschlafen haben. Ist das auch Ihre Meinung?
Daniel Girl: Dazu gibt es zwei Antworten: Ja, und noch einmal ja. Ja, weil wir immer noch auf den wichtigen Glasfaserausbau warten, die deutsche Automobilindustrie nach wie vor auf das alte Erfolgsmodell Ottomotor in ihren Autos setzt, viele mittelständische Unternehmen erst durch Corona ihr Fax-Gerät entsorgt haben und weil nicht zuletzt der deutsche Staat nach wie vor nicht in der Lage ist, Leistungen für Bürger zeitgemäß, also digital, zu bearbeiten beziehungsweise abzuwickeln. Und noch einmal ja, weil selbst die ganz großen Unternehmen zum Beispiel in der Start-up-Branche oder der Digitalwirtschaft global gesehen keine Rolle spielen. Der Kampf in den entscheidenden Schlüssel-Technologie-Branchen findet ohne Deutschland statt.
Energiewirtschaft benötigt datengetriebene Kundenbeziehungen
Was sind die größten Herausforderungen bei der Kundenbindung für Energiekonzerne?
Daniel Girl: Zum einen ist es die mentale und reale Überwindung eigener Prozesse der vergangenen Jahre und Jahrzehnten, ebenso bringt die Änderung der Bereitschaft und Gewohnheit beim Kunden digitale Services zu nutzen, eine neue Herausforderung mit sich. Eine große Chance liegt für die Energiewirtschaft darin, sich als Partner des Kunden bei der Bewältigung des Klimawandels anzubieten. Hier hat die Energiewirtschaft einen großen Glaubwürdigkeitsvorsprung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es einen aktiven Kontakt zum Kunden gibt.
Und die Fähigkeit der Energiewirtschaft, das Verhalten und die Daten der Kunden so aufzuzeichnen, dass sich daraus ein transparentes Gesamtbild des CO2-Fußabdrucks für den Kunden ergibt und somit die Chance, ihn gemeinsam zu reduzieren. Durch regionale Bezugsquellen, Sharing-Konzepte, eigenen Solarstrom, Energieeffizienz und andere Leistungen und Services. Wir müssen dringend weg von dieser Rabattschlacht über Vergleichsportale im Internet. Dafür muss die Energiewirtschaft selbst überzeugende Konzepte und Anreize liefern. Grundlage dafür ist eine aktive, datengetriebene, digitale Kundenbeziehung.
Mit welchen Methoden versuchen Unternehmen generell, die Kundenbindung zu verbessern? Was sind hier die typischen Anfängerfehler?
Daniel Girl: Die meisten Unternehmen der Energiewirtschaft sind nach wie vor nicht zahlengetrieben. Dabei ist das die Grundlage des Digitalisierungsprozesses und hat in fast allen anderen Branchen schon längst stattgefunden. Alles ist darauf ausgelegt per E-Mail, Website oder App seine Kunden besser kennenzulernen, zu verstehen und zu binden, um in der Zukunft bessere und passendere Angebote machen zu können. Wir erleben am Markt oft, dass Unternehmen denken, dass mit der Einführung einer App die Lösung zur digitalen Kundenbeziehung gefunden wurde. Oder dass auf Twitter allgemeine Unternehmensnachrichten oder Pressemitteilungen veröffentlicht werden und dies somit ein digitaler Kundenkontakt sei. Auch ein Kundenmagazin, dass als PDF zum Download angeboten wird, ist noch keine Digitalisierung.
Kundenbindung: Kommunikation mit Kunden verändert sich
Dennoch ist die Energiebranche im Umbruch und einiges hat sich in den vergangenen Jahren getan.
Daniel Girl: Das ist richtig. Die Energiewirtschaft ist vor allem deshalb im Umbruch, weil die Kunden anders als bisher gewonnen und gehalten werden müssen. Durch das Internet und das Smartphone haben sich die Kundenansprüche und die Kommunikation tiefgreifend verändert. Dieser Wandel und Handlungsdruck kommt von außen und wird noch an Geschwindigkeit weiter zulegen. Es ist ratsam, sich mit spezialisierten Dienstleistern eng auszutauschen und zusammenzuarbeiten und Digitalisierung als gemeinsame, themenübergreifende Herausforderung zu begreifen.
Welche Maßnahmen sollten stattdessen ergriffen werden, um eine digitale Kundenbeziehung aufzubauen?
Daniel Girl: Ganz klar, digital denken und handeln. Und das bedeutet zuerst klare Formulierung der Zielsetzung und Prioritätenfestlegung. Danach folgt die Fokussierung auf die oberste Zielsetzung und die Umsetzung in Kundenperspektive mit den Fragestellungen: Ist das für den Nutzer wirklich interessant, einfach zu verstehen und nutzbar? Das können auch verschiedene Antworten in unterschiedlichen Zielgruppen sein. Am Ende empfehle ich das Weglassen aller zusätzlichen Ideen und möglichen „guten“ Erweiterungen, um einfach zu starten, schnell zu lernen und dabei laufend zu optimieren. Digitalisierung ist ein Prozess und kein Endzustand. Mit der Fertigstellung und Umsetzung der Planung beginnt die eigentliche Arbeit. Bei aller Technologie ist entscheidend, dass der Kunde als Mensch emotional erreicht und begeistert wird. Und das können nur attraktive Inhalte sein.
Gewohnte Kundenkommunikation verändern
Wie können Energieunternehmen ihre Kunden am besten über neue digitale Services informieren?
Daniel Girl: Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass dies über rein digitale Medien stattfinden kann. Wir haben das intensiv getestet und Kunden über die sozialen Medien versucht zu identifizieren und zu erreichen. Der Streuverlust ist hier oft sehr groß. Der eigentliche Ansatzpunkt der Unternehmen aus der Energiewirtschaft muss sein, den bestehenden Kontakt zu beleben und die gewohnte Kommunikation zu verstärken und dabei zu verändern. Es ist also notwendig, dass mit dem klassischen Post-Mailing begonnen werden muss. Nicht zuletzt auch wegen des einzuholenden Double-Opt-in-Anmeldeverfahren für die digitale Kommunikation. Aber auch dann ist ein Kontakt zum Kunden nicht automatisch digitalisiert. Es ist absolut essenziell, auch weiterhin auf den alten Kanälen zu senden und dabei die Attraktivität der Inhalte langsam zu steigern.
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