29.09.2021 – Kategorie: Digitale Transformation

KI-Entwicklung: Gefahren für die deutsche Industrie im Wettlauf um Spitzenposition

KI-Entwicklung: Gefahren für die deutsche Industrie im Wettlauf um SpitzenpositionQuelle: PopTika/shutterstock

Dr. Stefan Wess, CEO der Empolis Information Management GmbH, über die Chancen und Gefahren für die deutsche Industrie im Wettlauf um die Spitzenposition bei künstlicher Intelligenz (KI) und Digitalisierung.

Wo liegt die deutsche Wirtschaft im Wettlauf um die digitale Zukunft?

Dr. Stefan Wess: Das ist schwer zu beurteilen. Die Frage ist: Welchen Wettlauf betrachtet man denn? Wir sind ja schon in der dritten Digitalisierungswelle. Die erste und zweite Welle haben wir klar verloren. Vor allem die Finanzwirtschaft, aber auch die Medien haben das verschlafen. In der aktuellen Welle geht es jetzt um B2B, um Fabriken und die Kern­industrie. Die globalen Gewinner werden wir aber erst frühestens in zehn Jahren sehen können. Es ist also zu früh, um das Rennen aufzugeben. Es fängt gerade erst an. Und wir laufen ganz sicher keinen Sprint. Sondern einen Marathon. Dabei steht Deutschland besser da, als das in den Medien rüberkommt.

Die deutschen Industrieunternehmen sind in Bezug auf die Digitali­sierung inzwischen wachsam geworden. Wenn auf diese Aufmerksamkeit nun auch ein konsequentes Handeln folgt, ist der Kampf um die digitale Vorherrschaft trotz aller derzeitigen Unkenrufe noch lange nicht entschieden.

„Daten sind Macht, das haben alle Digitalisierungswellen gezeigt“

Sind unsere Unternehmen denn für diesen Marathon gerüstet?

Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau oder die Landwirtschaft umzumodeln, ist ein längerer Weg, sehr komplex. Die entscheidende Frage ist, wer da am schnellsten lernt. Für mich ist es nicht ausgemacht, dass ein Elon Musk da eine schnellere Lernkurve hat, als deutsche Industrievorstände. Warum? Ganz einfach: Daten sind Macht, das haben alle Digitalisierungswellen gezeigt. Die Daten, die jetzt bei IoT anfallen, sind ja um ein Vielfaches größer als in den beiden ersten Wellen. Und die Frage, wer die Macht über diese Daten haben wird, ist noch nicht beantwortet. Da haben die deutschen Produzenten eine gute Chance.

Gilt das auch für speziell für die Entwicklung im Bereich KI?

Daten sind der Treibstoff für die KI. Der größte Fortschritt findet dort statt, wo die meisten Daten liegen. Damit sind Amazon, Facebook, Google und Alibaba groß geworden. Aber es ist noch nicht ausgemacht, wer die meisten Daten in der Zukunft hat – und da sind wir wieder bei IoT. Die Unternehmen sind die Herrscher über die Daten der Maschinen. Hier sehe ich Deutschland in der Führungsgruppe. Jetzt kommt es darauf an, die Daten zu nutzen und die Hoheit auch zu behalten. Noch wichtiger und kritischer aber ist: Die deutsche Industrie muss besser zusammenarbeiten, auch über Wettbewerbsgrenzen hinweg. Jeder Einzelne ist zu klein.

Aber zusammen wären wir wahrscheinlich unschlagbar. Man braucht eben die kritische Masse der Daten. Eine deutsche Führungsrolle kann noch daran scheitern, dass zu viele Unternehmen auf den eigenen Hof schauen. Dann ziehen die Chinesen und Amerikaner doch noch vorbei. Diese Gefahr ist real.

Entwicklung von KI in Deutschland: Wo stehen wir heute?

Warum liegen wir nach so viel einstiger KI-Leuchtturm-Euphorie laut aktuellen Erhebungen bei KI-Entwicklung und Einsatz der Technologie noch zurück? Was fehlt?

Ich sehe, dass Deutschland in der Wissenschaftsförderung einen guten Job macht, auch die Bundes­regierung, trotz aller Unkenrufe. Das wirklich große Problem aber ist, wie die Forschung auch in die Anwendung gebracht wird. Da bezweifle ich, dass derzeit alles so zielfördernd ist. Dinge wie die steuerliche Unterstützung und finanzielle Förderung lassen ebenfalls zu wünschen übrig. Das wäre aber effektiv. Auch eine Unterstützung der Zusammenarbeit von Industrieunternehmen, auch in Richtung Patente, Datenschutz und Kartellrecht wäre wünschenswert. Da herrscht noch ein Ungleichgewicht gegenüber Google & Co..

Wie sieht die Realität in der Anwendung und Implementierung von KI-Technologien in Unternehmen heute aus?

Weithin viel besser als man meint. Die zentrale Frage lautet: Was will man mit der KI erreichen? Breitflächig durchgesetzt hat sich die Anwendung von KI-Methoden bereits, etwa bei der Auswertung von Sensordaten, der Bildverarbeitung, der Anpassung von Steuerungen. Die Algorithmen werden immer umfangreicher und cleverer. Allerdings sind wir noch meilenweit entfernt davon wie Holly­wood die KI sieht. Das werden wir auch nicht erreichen. Das liegt aber daran, dass wir noch gar nicht wissen, wie Intelligenz überhaupt funktioniert. Und solange wir das nicht wissen, lässt sich das auch nicht auf Maschinen übertragen. Die Technologie ist insofern sowohl überschätzt als auch unterschätzt. Wir sind noch nicht beim Terminator, aber wir sind schon bei sehr smarten anpassungsfähigen Computersystemen, die intelligent scheinen – so wie beim Zauberer, von dem man nur meint, der könnte zaubern.

KI-Entwicklung: Standards schaffen, Daten austauschen & mehr Fokus auf die Digitalisierung

Die immer wieder apostrophierte „KI-Revolution“ ist also noch nicht in Sicht?

Die Wahrheit ist: Natürlich sehen wir viele technologische Fortschritte und Ergebnisse. Aber diese sind in gewisser Weise alle nur ein Echo der Revolution aus 2012. Die „ImageNet Large Scale Visual Recognition Challenge“ war eine wirkliche Revolution in der Bilderkennung. Ein von Alex Krizhevsky von der Universität To­ronto entworfenes Convolutional Neural Network, genannt AlexNet, halbierte dabei schlagartig die bisherige Fehlerrate bei der visuellen Erkennung von Bildern durch einen Computer. Aber KI wächst eben – noch – nicht exponentiell. Selbst in der digitalen Welt wird wissenschaftlicher Fortschritt in Jahrzehnten gemessen. Ein Großteil der KI-Technologie, die heute in kommerziellen Anwendungen zum Einsatz kommt, entstand bereits in den 1970er und 1980er Jahren. Ebenso werden viele der Forschungen und Techniken, die heute auf KI-Konferenzen vorgestellt werden, in den kommenden Jahren eher nicht den Weg in den Massenmarkt finden.

Was muss passieren, damit die deutsche Industrie weiterhin vorne mitspielen kann?

Mehr Standards schaffen, Daten austauschen, und sich grundsätzlich noch stärker auf die Digitalisierung einlassen. Denn jedes Unternehmen wird ein Softwareunternehmen werden. Und es gibt ja auch schon Aushängeschilder – viele deutsche Unternehmen belegen Spitzenplätze in der digitalen Transformation. Bosch beispielsweise ist im Bereich IoT und Datennutzung führend. Carl Zeiss ist in der Digitalisierung weit vorne, die haben den gesamten Service digital aufgestellt und exportieren das in die gesamte Welt. Auch BMW hat unheimlich aufgeholt bei den internen Systemen und Prozessen.

Know how erfolgreich verkaufen

Wo ordnen Sie sich dort mit Empolis ein?

Es wenden sich sogar US-Firmen an uns und fragen unser Know how nach. Zum Beispiel bei der Serviceoptimierung und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Und das ist bei einer Pumpe oder einem Gabelstapler nicht so einfach. Wir bieten dazu die entsprechenden Plattformen, um diese Dinge zu realisieren. Die Frage lautet immer: Wie lässt ich das dematerialisieren, also digitalisieren, ohne dass es direkt kopierbar ist.

Es geht darum, Know how zu verkaufen, ohne es aus der Hand zu geben. Auch da kommt KI eine entscheidende Rolle zu.

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Der Gesprächspartner Dr. Stefan Wess

KI Entwicklung, Dr. Stefan Wess

Der Diplom Informatiker, Computer-Nerd und anerkannte High-Tech-Experte ist über viele Jahre Autor und Herausgeber von Büchern und Fachartikeln zum Thema „Künstliche Intelligenz“. Von 2000 bis 2008 war Dr. Wess CTO und später CEO eines Tochterunternehmens der Bertelsmann arvato AG, Gütersloh und Geschäftsführer der arvato Middle East in Dubai. Später wurde er Mitglied im Management Board der Attensity Group, Palo Alto, aus der er im Jahr 2012 die Empolis Information Management GmbH ausgründete.

Dr. Wess ist Mitglied im Aufsichtsrat des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz und Kurator der Fraunhofer Gesellschaft.


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