17.02.2021 – Kategorie: Geschäftsstrategie
GWB-Novelle: Nutzern den Zugang zu Daten erleichtern
Im deutschen Kartellrecht sind am 19. Januar 2021 mit der 10. GWB-Novelle weitreichende Änderungen in Kraft getreten. Im Mittelpunkt der Neuerungen des GWB-Digitalisierungsgesetzes steht die Modernisierung des Kartellrechts in Zeiten der rasant zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft.
Rechtsanwältin Dr. Julia Wiemer von der Kanzlei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte erklärt im Gespräch mit Chefredakteur Heiner Sieger, was die neue GWB-Novelle für das Kartellrecht und deutsche Mittelstandsunternehmen bedeutet.
Zum Jahreswechsel ändert sich im Recht immer viel. Seit Jahresbeginn gibt es mit der GWB-Novelle ein neues Gesetz, das den Onlinevertrieb durchwirbeln wird und dem Mittelstand auch in anderen Bereichen das Leben erleichtern soll. Was glauben Sie, heißt das konkret für unsere Leser?
Dr. Julia Wiemer: Ich glaube, dass damit vor allem der Schutz für die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Digitalbereich kommt, den sie schon lange fordern. Es ist ja nichts Neues, dass sich dort starke Großunternehmen etabliert haben und die Mittelständler als Wettbewerber aber auch als Geschäftspartner häufig das Nachsehen haben. Da ändert sich jetzt Einiges. Für Plattformbetreiber gibt es zum Beispiel strengere Regeln. Die Nutzer sollen besser geschützt werden und bekommen aus meiner Sicht vor allem eine bessere Verhandlungsposition.
Und wie genau sieht der bessere Schutz für Nutzer von Plattformen aus?
Dr. Julia Wiemer: Plattformen können leichter als marktmächtige Unternehmen angesehen werden und müssen dann die besonderen Rücksichtnahmepflichten des Kartellrechts beachten. Es kommt nicht mehr auf die Höhe des Marktanteils an, sondern darauf, wie wichtig die jeweilige Plattform als Vertriebskanal ist. Damit können auch kleinere Plattformen, die in ihrem Bereich aber für die Nutzer besonders wichtig sind, den besonderen Regeln unterliegen.
Was sind das für besondere Regeln?
Dr. Julia Wiemer: Dazu gehört zum Beispiel, dass die Konditionen und Preise für die Nutzer fair sein müssen. In der Regel dürfen diese Unternehmen ihre Nutzer nicht dazu verpflichten, ausschließlich diese Plattform zu nutzen oder Bestpreisklauseln einzuhalten. Und schließlich darf ein marktmächtiges Unternehmen andere nicht unbillig behindern. Das heißt mit der GWB-Novelle auch: Unternehmen müssen in erheblichem Umfang Zugang zu ihren Daten gewähren.
Für die großen Plattformen gibt es verschärfte Möglichkeiten des Bundeskartellamts. Es kann denen künftig Verhaltensweisen von vornherein verbieten und muss nicht abwarten, was im Markt passiert. Dazu gehört etwa, eigene Angebote zu bevorzugen (sogenanntes Preferencing), aber auch die ausschließliche Integration der Angebote des Unternehmens bei anderen (zum Beispiel die Vorinstallation von Apps auf Smartphones) oder die Nutzung von Diensten davon abhängig zu machen, dass die Nutzer der Verarbeitung ihrer Daten für andere Zwecke zustimmen oder Daten oder Rechte übertragen.
Und wie kann ich das als Nutzer dann für mich verwenden?
Dr. Julia Wiemer: In jedem Fall kann der Nutzer seine Verhandlungsposition damit verstärken, dass er mit diesen Regeln argumentiert. Auch in Rechtsstreitigkeiten werden die Vorschriften sicher eine Rolle zugunsten der Nutzer spielen.
Kann ich mich als Nutzer auch irgendwo über eine Plattform beschweren, wenn die sich nicht an die Regeln hält?
Dr. Julia Wiemer: Ja, das können Sie. In Deutschland ist das Bundeskartellamt dafür zuständig. Über die Webseite können Sie relativ einfach eine Beschwerde einreichen. Dort gehen allerdings täglich mehrere hundert Beschwerden ein. Deshalb hilft es, dafür einen spezialisierten Anwalt einzuschalten. Es kann sich auch anbieten über Verbände an die Behörde heranzutreten.
Was heißt das eigentlich umgekehrt für Betreiber kleinerer Plattformen?
Dr. Julia Wiemer: Für Betreiber kleinerer Plattformen ist die GWB-Novelle in zwei Richtungen relevant: Zum einen können sie selbst gegen andere Plattformen vorgehen, die sich nicht an die Regeln halten oder Zugang zu deren Datenschätzen verlangen. Zum anderen sollten sie prüfen, ob sie nicht in ihrer Nische selbst als marktmächtig angesehen werden können und deshalb die besonderen Rücksichtnahmepflichten beachten müssen.
Wie ist das mit dem besonderen Anspruch auf Zugang zu im Wettbewerb wichtigen Daten? Gilt das nur für Plattformen?
Dr. Julia Wiemer: Nein. Das gilt für alle Unternehmen. Da werden sich also alle – egal ob in der Digital- oder Realwirtschaft – intern fragen müssen, ob sie über Daten verfügen, die für andere Unternehmen im Wettbewerb besonders wichtig sein können. Natürlich wäre es gut, sich auch darauf vorzubereiten, dass andere solche Ansprüche geltend machen. Sei es berechtigt oder nicht.
Was glauben Sie, wie sich das weiterentwickeln wird?
Dr. Julia Wiemer: Ich glaube, dass sich die Zugangsansprüche zu Daten zu einem beliebten Mittel entwickeln könnten, gegen Wettbewerber vorzugehen. Da werden wir abwarten müssen, ob die neuen Rechte missbraucht werden. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere versucht, auf den Investitionen Anderer trittbrettzufahren. Da werden die Gerichte und Behörden genau hinschauen müssen. Ich bin auch gespannt, wie schnell das Bundeskartellamt den großen Plattformen Vorgaben machen wird. Das wird sicher noch einige Zeit dauern.
Wir haben gehört, dass auch Unternehmensverkäufe und -gründungen durch die GWB-Novelle erleichtert werden. Stimmt das?
Dr. Julia Wiemer: Ja, denn das Gesetz ändert die Schwellenwerte, ab denen man Transaktionen beim Bundeskartellamt anmelden muss. Mit solchen Verfahren sind oft erheblicher interner Aufwand und Kosten für die anwaltliche Begleitung verbunden. Deswegen wird das Gesetz Fusionen und Gemeinschaftsunternehmen zwischen mittelständischen Unternehmen erleichtern. Das kann natürlich die Konzentrationsprozesse in einigen Branchen verstärken – zum Vorteil, aber auch Nachteil des Mittelstands.
Gibt es sonst noch etwas, was der Mittelstand wissen sollte?
Dr. Julia Wiemer: Ja, in der GWB-Novelle ist jetzt verankert, dass ein angemessenes kartellrechtliches Compliance-System im Falle von Verstößen gegen die Vorgaben bußgeldmindernd berücksichtigt wird. Das ist besonders wichtig für Geschäftsführer und Führungskräfte, die ja schon bei Verletzung der Aufsichtspflicht über ihre Mitarbeiter haften. Da kann man erfahrungsgemäß einfach nicht mit Augen und Ohren überall sein. Und die D&O-Versicherungen decken das – wenn überhaupt – auch nur begrenzt. Gerade die Compli-ance-Systeme mittelständischer Unternehmen gehören daher jetzt auf den Prüfstand.
Dr. Julia Wiemer berät als Rechtsanwältin der Kanzlei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte seit zehn Jahren Unternehmen zum Kartellrecht – sowohl zur Compliance als auch in Verfahren. Sie gehört laut Handelsblatt zu den meist empfohlenen Anwälten für Kartell- und Wettbewerbsrecht.
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