02.08.2023 – Kategorie: Geschäftsstrategie, Technologie
Generative KI: Ein neues Wettrüsten der Tech-Giganten hat begonnen
Die künstliche Intelligenz und insbesondere generative KI ist dabei, den IT-Markt nachhaltig zu verändern. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse einer Tech-Tour im Silicon Valley, bei der Experten ihre Einschätzungen gaben.
Sicherlich haben die bekannten Technologiekonzerne große Fortschritte bei der Entwicklung der grundlegenden KI-Modelle gemacht. Doch dies ist aufgrund einer exponentiell gestiegenen Komplexität mit massiven Kosten für die Entwicklung und den Betrieb verbunden, erklärt Paul Greene, der die U.S. Large-Cap Core Growth Equity Strategy bei T. Rowe Price verwaltet. Eine seriöse Branchenschätzung besagt, dass für OpenAI jede Antwort auf eine Frage mit 30 Wörtern an deren generative KI einen Penny kostet – ein scheinbar kleiner Betrag, der sich aber schnell summiert, wenn das System Millionen von Nutzern hat.
Paul Greene merkt an, dass ein ehemaliger KI-Spezialist von Google die Kosten für das Training eines homogenen Modells mit 530 Milliarden Parametern für Testzwecke auf 100 Millionen US-Dollar geschätzt hat. „Es gibt nicht viele Unternehmen, die Schecks in dieser Höhe ausstellen können. Dazu gehört auch OpenAI, das Microsoft massiv subventioniert“, so Greene weiter.
Wie sich generative KI von anderer Software unterscheidet
Das Training von Modellen war bisher der größte Kostentreiber. Experten erwarten aber, dass das Inferencing – also die Ausführung des Modells zur Beantwortung von Benutzeranfragen – in Zukunft am teuersten sein wird. Damit unterscheidet sich die generative KI von den meisten anderen Softwarelösungen, die mit vernachlässigbarem Aufwand weitere Benutzer hinzufügen können. Auch wenn sich die Skalierung lohnt, sind dies nicht unbedingt nur gute Nachrichten für die großen Players. „Ich mache mir Sorgen darüber, wie sich das KI-Wettrüsten auf die Bilanzen selbst der Mega-Caps auswirken wird. Alphabet, Microsoft, Meta, Amazon.com und andere müssen viel Geld ausgeben, um im Bereich KI wettbewerbsfähig zu bleiben“, erklärt Dominic Rizzo, Portfoliomanager für globale Technologieaktien-Strategie bei T. Rowe Price.
Alphabet steht vorerst weiterhin an der Spitze
Als weiteres Argument für Größenvorteile verweist Greene auf die Vorteile von Unternehmen, die über umfangreiche, proprietäre Datensätze verfügen, die sie zum Trainieren neuer Modelle einsetzen können. Die Google-Muttergesellschaft Alphabet hat seiner Meinung nach in dieser Hinsicht besondere Vorteile. „Denken Sie an all ihre Kartendaten, App-Store-Daten und Netzwerkdaten sowie an die Daten, die YouTube und all die anderen Produkte sammeln“, erläutert Greene. „Das sind alles riesige Datenreservoirs, die für sich genommen sehr wertvoll sind, aber noch mehr, wenn man sie kombiniert. Durch die Integration von Produkten und angemeldeten Nutzern entstehen sauberere Datensätze, und die Nutzung der Produkte durch die Kunden selbst kann bei der automatischen Kennzeichnung und dem menschlichen Feedback helfen.“
Greene glaubt, dass Google auch einen wichtigen Vorteil in seinem Talentpool hat. Vor einigen Jahren wurde geschätzt, dass die Hälfte der weltweit besten KI-Experten für das Unternehmen arbeitet. Auch wenn diese Zahl seitdem wahrscheinlich gesunken ist, hält Google vermutlich einen übergroßen Anteil an Talenten in diesem Bereich. Eine der wichtigsten Investitionen von Google in künstliche Intelligenz war der Kauf des in London ansässigen Start-ups DeepMind im Jahr 2014. Dieses zog Ende 2015 die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich, als dessen „AlphaGo“-Programm zwei der weltbesten Spieler des Brettspiels Go schlug –eine Leistung, die weithin als unerreichbar für Computer galt.
Generative KI: Ist die Dominanz von Google gesichert?
Die Aktien von Alphabet haben nach der Veröffentlichung von ChatGPT gelitten, offenbar zum Teil deshalb, weil die Anleger spekulierten, dass Googles lukrative Dominanz auf dem Markt für Internetsuche unter der Konkurrenz von ChatGPT und anderen Chatbots leiden würde. James Stillwagon, Portfoliomanager für Kommunikations- und Technologiewerte bei bei T. Rowe Price, ist der Ansicht, dass die Google-Suche im Laufe der Zeit immer fortschrittlichere Funktionen für generative KI enthalten wird. „Wir sehen bereits, wie Google mit multimodalen Konversationsformaten neben traditionellen textbasierten blauen Links experimentiert. Mit sechs Produkten, die jeweils mehr als zwei Milliarden Nutzer weltweit bedienen (Suche, Gmail, Android, Chrome, YouTube und Google Play), glaube ich, dass Google im Rennen um die Skalierung und Kommerzialisierung von KI-Tools für Verbraucher erhebliche Vertriebsvorteile hat“, berichtet Stillwagon.
Hindernisse bei der Monetarisierung von KI
Dennoch bleiben Fragen zu den potenziellen Hürden bei der Monetarisierung und den Kosten für Suchanfragen, die rechenintensive große Sprachmodelle (LLMs) für durch KI erzeugte Antworten erfordern. „Nachdem Google fast drei Jahrzehnte damit verbracht hat, die Suchergebnisse für die linkbasierte Lead-Generierung zu optimieren, wird es wahrscheinlich sein Werbemodell an die neuen Suchschnittstellen anpassen und gleichzeitig die zusätzlichen Kosten für das Training und die Inferenz der LLMs ausgleichen müssen“, so Stillwagon.
Auf die Umsetzung wird es ankommen, vor allem, weil der Kampf um die Suche auf Googles heimischem Terrain ausgetragen wird. Greene merkt an, dass sich dies als ein Fall eines „Innovatorendilemmas“ erweisen könnte. Diesen Begriff hat Clayton Christensen von der Harvard University geprägt. Dieser beschreibt die Tendenz von Unternehmen, die in einem neuen Markt groß werden, diesen dann an kleinere Firmen zu verlieren. Oder von diesen gestört zu werden. Der Grund dafür ist, dass große Unternehmen dazu neigen, sich auf die Bedienung bestehender Kunden zu konzentrieren, während kleinere Unternehmen versuchen, neue Kunden mit neuen Bedürfnissen zu finden.
Nutzung einzigartiger Datensätze durch generative KI
Obwohl Amazon seine Bemühungen, was generative KI betrifft, weitgehend unter Verschluss gehalten hat, profitiert das Unternehmen auch von der Dominanz seiner Branche. Der größte Onlinehändler außerhalb Chinas verfügt über ein unübertroffenes Reservoir an Daten darüber, wie sich Verbraucher verhalten und was sie denken, und zwar durch Text (Produktrezensionen), verbale Hinweise (Antworten auf die Sprachassistentin Alexa), Bewegung (Standortdaten) und Käufe von Büchern bis hin zu Medikamenten.
Die Entscheidung von Facebook, sich in Meta Platforms umzubenennen und das „Metaverse“ aufzubauen, spiegelt die Ambitionen des Unternehmens für die nächste Generation von Technologien, einschließlich generative KI, wider. Stillwagon weist darauf hin, dass Facebook über umfangreiche Erfahrungen mit der Nutzung von maschinellem Lernen verfügt, um seine Nutzer zu verstehen und geeignete Werbung und Inhalte an die richtigen Personen zu richten. Wie alle Eltern bestätigen können, ist TikTok zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten von Facebook geworden, der das Gleiche tut, vielleicht sogar besser.
Die Fortschritte von Meta und Amazon, generative KI zu entwickeln, bleiben unklar. Dominic Rizzo weist jedoch darauf hin, dass Meta eine wichtige Rolle beim Aufbau der Open-Source-Community für generative KI gespielt hat. „Ich bin sicher, dass Meta über alle Werkzeuge verfügt, um im Bereich der KI führend zu sein und ich glaube, dass Amazons riesige Cloud-Computing-Ressourcen und seine internen Halbleiterkapazitäten dem Unternehmen eine einzigartige Möglichkeit bieten, generative KI zu entwickeln und sie der breiten Masse zugänglich zu machen.“
Wenn Bing auf Chatbot trifft
Die unmittelbarste Herausforderung für die KI-Dominanz von Google ist Microsoft – nicht zuletzt aufgrund seiner bedeutenden Investitionen und Partnerschaft mit OpenAI. Microsoft hat bereits damit begonnen, Chatbots in seine Suchmaschine Bing und Bürosoftware Office zu integrieren. Zudem hat CEO Satya Nadella ehrgeizige Pläne angekündigt, OpenAI noch stärker in das Software-Ökosystem des Unternehmens einzubinden. Wie Greene anmerkt, ist Microsoft kein Neuling im Bereich der KI. So kooperiert Microsoft mit dem Chiphersteller Nvidia, um das Modell Megatron-Turing Natural Language Generation (MT-NLG) zu veröffentlichen, das einen wichtigen Schritt darstellt, generative KI zu entwickeln.
Inwieweit generative KI und Chatbots wie Microsoft Bing oder andere sprachinteraktive Systeme wie Google Assistant, Amazon Alexa oder Apple Siri aufwerten werden, bleibt abzuwarten. Die Aktien von Alphabet stürzten Anfang Februar um fast neun Prozent ab, nachdem die Einführung des Chatbots „Bard“ das neue Webb-Teleskop der NASA fälschlicherweise als das erste Teleskop identifizierte, das ein Bild eines Planeten außerhalb unseres Sonnensystems aufgenommen hat – ein Kunststück, das tatsächlich im Jahr 2004 gelang. ChatGPT wurde bald darauf selbst in Verlegenheit gebracht, nachdem es versucht hatte, einen Autor der New York Times davon zu überzeugen, seine Frau für das Programm zu verlassen. Ein Ergebnis des Trainings mit verführerischen Textnachrichten aus dem Internet.
(Bilder: T. Rowe Price)
Über die Autoren: Dominic Rizzo ist Portfoliomanager für globale Technologieaktien-Strategie, Paul Greene ist Portfoliomanager für US Large-Cap Core Growth Equity Strategy und James Stillwagon ist Portfoliomanager für US-Kommunikations- und Technologieaktienstrategien bei der Investment-Management-Plattform T. Rowe Price.
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