27.10.2020 – Kategorie: Geschäftsstrategie

GAIA-X für eine sichere und wettbewerbsfähige Dateninfrastruktur in Europa

EU Data Boundary GAIA-XQuelle: Timofeev Vladimir/shutterstock

Dr. Oliver Mauss, Geschäftsführer von PlusServer, der sich bei GAIA-X engagiert, erklärt im Interview, wieso er digitale Souveränität nicht als Kür, sondern als Pflicht sieht, um in Zukunft europäischen Wohlstand zu sichern und Werte wie Datenschutz, Unabhängigkeit und Monopolvermeidung zu verteidigen.

Im Rahmen des Projektes GAIA-X erarbeiten Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aus Frankreich und Deutschland die Grundlagen für den Aufbau einer vernetzten, offenen Dateninfrastruktur auf Basis europäischer Werte. Aus der Vernetzung dezentraler Cloud-Dienste soll eine Dateninfrastruktur entstehen, die zu einem homogenen System zusammengeführt wird, in dem Daten sicher und vertrauensvoll verfügbar gemacht und geteilt werden.

Was sind der Hintergrund und der Status Quo der Initiative GAIA-X?

Dr. Oliver Mauss: Ein starker Treiber des Projekts ist die Industrie 4.0: Maschinen produzieren enorm viele Daten und die Vernetzung der Produktion ist ein wesentlicher Innovationstreiber. Da ist die Sorge groß, dass die deutsche Maschinenbauindustrie von US-Unternehmen abhängig wird. Politik und Unternehmen haben jedoch erkannt, dass diesbezüglich etwas getan werden muss. Daraus ist jetzt etwas Großes entstanden.

GAIA-X arbeitet dabei auf drei Ebenen: Auf der Datenebene geht es darum Daten sicher auszutauschen. Auf der Föderierungsebene ermöglichen wir es, dass Cloud-Services Plattform-übergreifend genutzt werden können. Auf der Infrastrukturebene werden wir einen Software-Stack für Cloud Infrastructure-as-a-Service bereitstellen, die von großen internationalen Technologieanbietern unabhängig ist. Digitale Souveränität heißt einerseits Datensouveränität. Zusätzlich bedeutet es Technologiesouveränität.

Welche Rolle spielt dabei die Cloud – heute und in Zukunft?

Dr. Oliver Mauss: In nahezu allen Branchen verlagert sich die Wertschöpfung von Unternehmen in Richtung Software – und die braucht die Cloud als Enabler. Wenn man von der Cloud spricht, ist das ja kein monolithischer Block, sondern sie umfasst viele verschiedene einzelne Services. Europa hat keinen Cloud-Anbieter in der Größenordnung wie die USA. Ich bin mir nicht sicher, ob wir in Europa jemals so einen haben werden, dazu fehlt uns eine gewisse Investitions-Mentalität.

Allerdings sind wir sehr gut darin, eine Vielfalt von Unternehmen zu schaffen, die in verschiedenen Disziplinen stark sind. Und das könnte in Europa mit der Cloud gelingen, indem eine Vielzahl von Anbietern einen einheitlichen Service auf viele Schultern verteilen, oder verschiedene Services zusammenspielen lassen.

Welche Gefahren sehen Sie für Unternehmen?

Dr. Oliver Mauss: Stellen Sie sich vor, wir wären in Europa von drei amerikanischen Energieunternehmen abhängig, das wäre für viele vermutlich undenkbar. Im Cloud-Bereich ist eine solche Abhängigkeit jedoch Realität. Wir brauchen daher für eine europäische Cloud-Infrastruktur eine Alternative.

Dafür bauen wir den Sovereign Cloud Stack (SCS) – eine Software-Technologie, die das Betreiben von Cloud Infrastruktur ermöglicht. Und zwar bewusst als Open-Source-Projekt mit einem offenen Code, den jeder benutzen kann, um dementsprechend eine Infrastruktur bereitzustellen. Damit Unternehmen und deren Geschäftsmodelle aus Europa heraus weltweit wettbewerbsfähig sein können, braucht es ein offenes digitales Ökosystem. Dieses sollte sowohl die digitale Souveränität der Nutzer von Cloud-Dienstleistungen als auch die technologische Souveränität europäischer Cloud-Anbieter ermöglichen.

Warum setzen Sie auf Open Source?

Dr. Oliver Mauss: Grundsätzlich gibt es ja zwei Möglichkeiten, um Ökosysteme zu schaffen: Man entwickelt etwas und investiert viel Geld, damit es zum führenden, aber proprietären Industriestandard wird. Der alternative Weg ist Open Source. Dort beteiligt sich eine Community an der Entwicklung eines Standards, was ein risikoärmerer und erfolgversprechenderer Ansatz ist, vor allem aus europäischer Sicht. Nahezu das gesamte Internet ist auf Open-Source-Technologie aufgebaut.

Was ist die aktuelle Timeline für GAIA-X?

Dr. Oliver Mauss: Noch in diesem Sommer wird die Gründung einer Dachorganisation angestrebt. Zurzeit sind wir noch bei der Vorbereitung und haben eine große Nachfrage von Unternehmen, die mitmachen wollen. Wir definieren gerade die Spielregeln, unter denen man mitmachen darf, wie die Arbeit finanziert wird und wie später die Standards und Lizenzen verwaltet werden. Gegen Ende des Jahres wird es bereits Demonstrationen erster GAIA-X-Services geben.

In welcher rechtlichen Struktur agieren Sie?

Dr. Oliver Mauss: Wir haben die Rechtsform einer AISBL. Das ist eine internationale Non-Profit-Organisation belgischen Rechts, die sehr typisch für europäische Projekte ist – im Grunde ein Verein. Wir sind ja eine Industrieinitiative und kein Unternehmen. Darunter gibt es viele Arbeitsgruppen und eine Projektstruktur, die sich gerade organisiert.

Wie wollen Sie die digitale Souveränität sichern?

Dr. Oliver Mauss: Unternehmen sind abhängig von Services aus Internet und Cloud: Die Wertschöpfung fast jedes Produktes ist durch Software bestimmt und diese ist heute fast immer vernetzt. GAIA-X wird einerseits sicherstellen, dass Anwender die Souveränität über ihre Daten behalten, auch wenn sie über verschiedene Cloud-Plattformen hinweg verteilt sind. Andererseits wird auch gewährleistet, dass keine Abhängigkeiten entstehen zu den Plattformen, auf denen diese Software läuft. Denn für Unternehmen wird es zum Risiko, wenn Cloud-Dienste, von den sie abhängig sind, plötzlich im Preis steigen oder nicht mehr zur Verfügung stehen. Und das wird dann auch ein Problem für den europäischen Wohlstand. Da müssen wir etwas entgegensetzen.

Wie fördert GAIA-X denn Innovation und Wohlstand in Europa?

Dr. Oliver Mauss: Durch die Entwicklung von Standards, die den kleineren Anbietern erlaubt, Services bereitzustellen, die die europäische Cloud vorantreiben. Die können später übergreifend genutzt werden. Damit schaffen wir ein Netzwerk von Cloud-Anbietern, die international wettbewerbsfähig sein werden. Jeder einzelne würde das nicht leisten können, was einer solchen Community möglich ist.

Wenn zum Beispiel aus einhundert Unternehmen jeweils fünf Entwickler mitarbeiten, dann sind es plötzlich 500 Menschen, die gemeinsam an einer Technologie arbeiten, von der alle beteiligten Unternehmen profitieren. Das schafft Innovation und Wohlstand in Europa. Wir sind sicher, damit erfolgreich zu sein, weil diese Pluralität dem europäischen Gedanken besser entspricht.

Wie unterstützt die Politik die Initiative?

Dr. Oliver Mauss: Die Politik hat erkannt, dass Cloud und Digitalisierung wichtige Themen sind und stellt daher auch Fördermittel bereit. Die Politik hat das Projekt ins Leben gerufen. Wichtig ist aber, dass die Innovation aus dem Engagement der Unternehmen kommt. Ursprünglich war GAIA-X ein rein deutsch-französisches Projekt, gegründet von je 22 Unternehmen aus beiden Ländern. Inzwischen laufen viele Gespräche mit anderen Ländern, deren Unternehmen schnell dazu stoßen werden. Am Tag nach der Gründung erwarten wir eine hohe Zahl von Unternehmen aus weiteren europäischen Ländern, die dann sofort Mitglied werden.

Stellen Sie sich vor, wir wären in Europa von drei amerikanischen
Energieunternehmen abhängig, das wäre für viele vermutlich undenkbar. Im Cloud-Bereich ist eine solche Abhängigkeit jedoch Realität. Wir brauchen daher für eine europäische Cloud-Infrastruktur eine Alternative.

Das Interview führte Heiner Sieger, Chefredakteur von Digital Business Cloud.

GAIA-X
Oliver Mauss ist Geschäftsführer von PlusServer. (Bild: PlusServer)

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