18.02.2023 – Kategorie: Technologie

ERP-Lösungen: Anbieter im Schatten ihrer Lösungen

Quelle: putilov_denis - Adobe Stock

Trotz der insgesamt hohen Anwenderzufriedenheit offenbart der ERP-Markt auch dunkle Flecken: Der Vergleich von ERP-Lösungen und -Anbieter in der aktuellen Studie „ERP in der Praxis“ zeigt im Hinblick auf die Gesamtbeurteilung der Softwareanbieter eine Spanne von fast zwei Schulnoten.

Angesichts unterschiedlichster Anwendungsszenarien und Lösungscharakteristiken ist eine Segmentierung des ERP-Marktes notwendig, um die Vergleichbarkeit einzelner ERP-Lösungen im Hinblick auf die Anwenderzufriedenheit zu gewährleisten. Eine in dieser Hinsicht zentrale Kenngröße ist die Komplexität der Installationen einer ERP-Lösung, die sich an Parametern wie der Zahl der ERP-Arbeitsplätze, der Breite des mit der Software unterstützten Prozess- und Aufgabenspektrums, der Zahl der angebundenen Betriebsstätten sowie der Internationalität der ERP-Installation festmachen lässt. Die Studie „ERP in der Praxis“ der Trovarit AG hat den Markt für ERP-Lösungen untersucht.

ERP-Lösungen: Infor setzt sich an die Spitze der „Großen“

Die im Segment der sehr anspruchsvollen ERP-Installationen positionierten ERP-Lösungen finden sich aufgrund der Komplexität der Installationen seit jeher tendenziell im hinteren Bereich des Portfolios wieder. Das Gesamturteil für Software und Wartungspartner liegt mit einem Klassendurchschnitt von 1,90 beziehungsweise 2,12 im Bereich von „Gut“ und damit spürbar unter dem Gesamtmarkt. Schaut man auf die einzelnen Lösungen, dann kann sich Infor mit seiner Cloud Suite, dem Nachfolger von Infor LN, als „Gewinner“ unter den Lösungen für größere Unternehmen fühlen:

Dabei macht die Infor Cloud Suite (Infor CS) im Hinblick auf die Zufriedenheit mit dem Wartungspartner nicht nur Boden gut, der vor zwei Jahren verloren wurde, sondern übertrifft auch die erheblich besseren Zufriedenheitsresultate aus 2018. Im Gegensatz dazu fällt die IFS Applications mit einer, im Vergleich zu den Mitbewerbern, aber auch zur Vorstudie aus 2020, deutlich schlechteren Bewertung der „Zufriedenheit mit dem Wartungspartner“ auf.

Bei IFS fällt der Studie zufolge die ausgeprägte Asymmetrie zwischen der Zufriedenheit mit der Software einerseits und der offensichtlichen Unzufriedenheit mit den Dienstleistungen des Anbieters andererseits auf. Während die Software insgesamt stabil bewertet wird und auf einem Niveau mit den unmittelbaren Wettbewerbern liegt, erfährt die Zufriedenheit mit dem Anbieter bei einer erneuten Verschlechterung um fast eine halbe Schulnote gegenüber 2020 einen deutlichen Rückschlag.

Die besten Mittelstands-Lösungen punkten bei der Kundenbetreuung

Die Mehrzahl der etablierten ERP-Lösungen für den Mittelstand erzielt gute Noten im Hinblick auf die Software. Gleichzeitig fallen diese Lösungen etwas ab, wenn es um die Bewertung der Dienstleistungen des Wartungspartners geht. Hierbei handelt es sich oftmals um den Hersteller der Software selbst. Angesichts des hohen Notenniveaus bei der Software kann man hier zwar nicht unbedingt von Schwächen im Service sprechen. Dennoch wirken sich Abschläge bei einzelnen Zufriedenheitsaspekten auf die Gesamtnote aus. Bei dem Kritikpunkten handelt es sich oft um die „Erreichbarkeit“, „Schnelligkeit“ oder auch „Kompetenz von Hotline bzw. Support“, die Zufriedenheit mit dem Kundenbetreuer oder auch die „Beratung bei der Optimierung des Software-Einsatzes“.

Die Lösungen in der Spitzengruppe des Mittelsegments zeichnen sich dagegen nicht nur durch sehr gute Noten für die Software aus. Bei ihnen bewegt sich auch die Zufriedenheit mit dem Service der Wartungspartner auf dem gleichen Niveau wie die Zufriedenheit mit der Software. Hier spielt offenbar eine sehr intensive und engagierte Kundenbetreuung sowohl während der Einführung als auch während des Software-Betriebs eine große Rolle.

Schlusslichter im Mittelstandssegment

Die beiden „Schlusslichter“ im Mittelsegment, proAlpha und caniasERP, erzielen immer noch ein „Gut“ bei der Gesamtzufriedenheit mit der Software. Im Vergleich zu den Mitbewerbern in der Klasse liegen sie damit dennoch etwas zurück. Ein Blick in die Details zeigt unterschiedliche Kritikpunkte: Beiden gemein ist die Kritik an der „Release-Fähigkeit“, die jeweils deutlich unter dem Klassendurchschnitt liegt, sowie an der „Mobilen Einsetzbarkeit“ der Software.

Ähnliche Muster lassen sich auch im Hinblick auf die Zufriedenheit mit den Dienstleistungen des Wartungspartners – in beiden Fällen der jeweilige Software-Hersteller selbst – erkennen: Beim Support erfährt insbesondere die „Schnelligkeit bis zur Bereitstellung einer Lösung“ deutlich Kritik, gepaart mit Schwächen bei der Hotline (caniasERP) beziehungsweise bei der Kompetenz „Hotline/ Support“ (proAlpha).

Gute Noten für den Service der ERP-Anbieter für Kleinunternehmen

In der „Leichtgewichtsklasse“, ERP-Lösungen mit einem Einsatzschwerpunkt bei Installationen unter 25 ERP-Arbeitsplätzen, liegt das Zufriedenheitsniveau spürbar über dem des Gesamtmarktes. Das relativ hohe Zufriedenheitsniveau in diesem Marktsegment ist im Kern auf die geringere Komplexität der ERP-Installationen zurückzuführen. Dabei finden sich in diesem Segment sehr unterschiedliche ERP-Lösungen: Angesiedelt sind hier schlanke ERP-Lösungen mit deutlichem Fokus auf dem Finanzwesen und der kaufmännischen Auftragsabwicklung, wie Hamburger Software oder BMD. Von diesen Lösungen finden sich im deutschsprachigen Raum oft mehr als 10.000 Installationen.

Auf der anderen Seite finden sich hier zum Teil hoch spezialisierte und dabei fachlich durchaus breit aufgestellte ERP-Lösungen, die von einem sehr überschaubaren Kundenkreis genutzt werden, wie Syslog, Issos Pro, winweb-food oder Majesty. Positiv absetzen können sich die Lösungen mit vorwiegend kleineren ERP-Installationen insbesondere im Hinblick auf die „Release-Fähigkeit“ (+0,18 Schulnoten) und „Performance“ (+0,17) sowie im Hinblick auf die Anwenderdokumentation“ der Software (+0,12). Im Bereich von Support und Hotline fallen die Reaktionsschnelligkeit (+0,19) und Kompetenz (+0,13) sowie das „Schulungs- und Informationsangebot“ (+0,15) besonders positiv auf. Die guten Noten für den Service werden offenkundig auf unterschiedlichen Wegen erreicht: Die Anbieter mit einem sehr großen Kundenstamm setzen auf Standardisierung der Software und Service-Prozesse. Die spezialisierten Anbieter mit kleinem Kundenstamm setzen dagegen stark auf eine sehr intensive und individualisierte Kundenbetreuung.

Über den Autor: Dr. Karsten Sontow ist Vorstandsvorsitzender der Trovarit AG.

Dr. Karsten Sontow, Trovarit AG: „Die Anbieter mit einem sehr großen Kundenstamm setzen auf Standardisierung der Software und Service-Prozesse. Die spezialisierten Anbieter mit kleinem Kundenstamm setzen dagegen stark auf eine sehr intensive und individualisierte Kundenbetreuung.“ (Bild: Trovarit AG)

ERP-Lösungen in der Praxis

Als Steuerungsinstrument für die wichtigsten Geschäftsprozesse leisten ERP-Systeme einen wesentlichen Beitrag zur Geschäftsentwicklung. Daher befasst sich die Studie „ERP in der Praxis“ der Trovarit AG seit 18 Jahren regelmäßig mit dem ERP-Einsatz in der betrieblichen Praxis. Rund 2.000 Anwenderunternehmen beteiligten sich 2022 und bewerteten knapp 130 ERP-Lösungen, von denen 39 mit ausreichender Datenbasis in die Studie eingingen. Dabei vergaben sie nicht nur Noten für die Leistung der Software und des Anbieters, sondern tauschten sich auch über den Nutzen und die Perspektiven des ERP-Einsatzes aus. (sg)

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