17.11.2023 – Kategorie: Digitale Transformation
Digitalisierungsstrategie mit Struktur: Darauf kommt es an
Die Digitalisierung könnte schneller und effizienter ablaufen. Davon ist der IT-Experte Oliver Meinecke überzeugt. Den meisten Unternehmen fehle es dafür aber an den Grundlagen, an Struktur und Logik im Vorgehen. Mangels Expertise würden Chancen über- und Kosten und Risiken unterschätzt.
Der Weg zur Digitalisierungsstrategie: Seit mehr als zwanzig Jahren begleitet IT-Profi Oliver Meinecke mittelständische Unternehmen und Konzerne bei komplexen, dezentralen Projekten. Deren Vorgehen im Rahmen der digitalen Transformation sieht er zunehmend kritisch. „Es gibt zahlreiche gebrochene Prozesse, die sich dem gesunden Menschenverstand und logischem Grundverständnis entziehen. Oft verantwortet von Personen, die vom Thema nichts oder zu wenig verstehen. Zudem fehlt dann die erforderliche Flexibilität in Digitalisierungsprozess, sowie an den Grundlagen, an Struktur und Logik im Vorgehen“, sagt er.
Überalterte oder unflexible Prozesse als Ballast
Bei den unternehmensinternen Prozessen sieht er großen Nachholbedarf in Sachen Reduktion und Ordnung. „Viele Prozesse sind überaltert, unnötig oder ineffektiv“, ist der IT-Profi überzeugt. „Da wird gerade viel Unsinn digitalisiert.“ Denn es mache keinen Sinn, unnötige und letztlich kontraproduktive Prozesse zu digitalisieren. „Wer seine Prozesse nicht hinterfragt, optimiert, reduziert und effektiviert, sollte mit Digitalisierung erst gar nicht anfangen. Zunächst müssen die Abläufe stimmen und durchdacht sein. Erst dann hat es Sinn, sie digital abzubilden“, lautet sein Appell.
Oft werde die IT nur aus der Helikopterperspektive betrachtet, während weiter unten oft zahlreiche Fallstricke lauern. Zum Beispiel wenn mit einem externen Dienstleister aus einem Land mit geringeren Lohnkosten ein bestimmter, starrer Prozess aufgesetzt werde, der dann nicht mehr verlassen werden darf. „Es gab lange Vorlaufzeiten und viele Prüfungen wurden vorgenommen. Bis zur Umsetzung einige Monate später wuchs allerdings das Volumen des Systems. Das gewachsene System erneut zu prüfen, war jedoch nicht vorgesehen“, plaudert Meinecke aus dem Nähkästchen. Die Folge: Für den Umfang des zu installierenden Systems reichte das Volumen des Servers nicht aus, weil ein anderer wichtiger Schritt im Prozess nicht vorgesehen war. Der Start des Systems verzögerte sich um mehrere Wochen.
Fehlende Datengrundlage
Grundlage jedes Digitalisierungsvorhabens sind die Daten. „Zu den Ursachen für viele Fehleinschätzungen gehört für mich das, was ich Datenkatastrophe nenne: Die Spreu vom Weizen zu trennen fällt oft schwer. Das ist auch einer gewissen Unwissenheit geschuldet. Hier muss umfassend aufgeräumt werden.“ Dabei sei die Reduktion unnötiger Daten der Beginn des Prozesses. Die verbleibenden Daten müssten sowohl semantisch als auch syntaktisch aufbereitet und in ein valides System gebracht werden. „Da viele Unternehmen über Jahrzehnte hinweg Datenmüll gesammelt haben, ist das eine große Herausforderung. Ohne brauchbare Daten, keine vernünftigen digitalen Prozesse.“
Digitalisierungsstrategie: Schwachstelle Schulungen
„Viele Mitarbeiter werden ins kalte Wasser geschmissen, da wird ‚learning bei doing‘ verordnet. Aber das geht immer wieder schief“, so der IT-Profi. Oft werde nur ein kleiner Kreis geschult, der dann weitere Personen schult, aber mit nur geringen Informationen. „Meinecke: Eine umfassende Schulung kostet Geld und der laufende Betrieb muss auch weitergehen. Die Folge: Unzählige Prozesse werden nicht professionell aufgesetzt.
Mangelnde betriebswirtschaftliche Analyse
„Zahlreichen Projekten mangelt es an der umfassenden betriebswirtschaftlichen Analyse – es fehlt die fachliche Expertise, schon am Reißbrett den richtigen Entwurf gemacht zu haben. Man behilft sich hemdsärmelig, verschiebt notwendige Schritte auf eine nächste Version und hofft, dass das nicht auffällt. Produkte und Serviceleistungen, die ihren Lebenszyklus bald überschritten haben, brauchen nicht mehr unbedingt ein digitales Update“, sagt Oliver Meinecke. Ohne vorheriges Downsizing in allem, ohne Klarheit darüber, was die nächsten Jahre überleben werde und was überhaupt eine Zukunft habe, müsse jede Digitalisierungsstrategie scheitern. „Digitalisieren ist aufwendig und kostet Geld.
Deswegen hat es nur Sinn, die Prozesse und Services zu digitalisieren, die auch langfristig ertragreich sind und eine nachvollziehbare Verbesserung bringen. Was nichts taugt, muss entsorgt werden, und zwar schon vor, nicht während eines Digitalisierungsprozesses.“
Übertriebende Cloudgläubigkeit bei der Digitalisierungsstrategie
Vielen Unternehmen fehle zudem die Expertise in Bezug auf Cloudanwendungen. „Sie denken, wenn sie Daten und Prozesse in der Cloud hinterlegen, erhöht sich die Sicherheit, und Verantwortung kann abgeben werden.“ Das aber stimme oft nicht. Die Cloud berge auch Gefahren, die nicht zu unterschätzen seien. Vielmehr müsse Daten- und Systemautonomie angestrebt werden, um Prozesse besser individuell steuern zu können. Daten und technische Prozesse abzugeben, sei immer auch ein Risiko. „Zu jeder Digitalisierungsstrategie muss es eine Resilienz- und Risikoanalyse geben. Es gibt viele Prozesse, die nicht in die Cloud gehören und die nicht von Providern erledigt werden sollten“, meint der IT-Profi.
Häufig werde falschen Versprechen geglaubt, die dazu führen, dass Chancen maximal überschätzt und schöngerechnet werden, Risiken aber unterschätzt und kleingerechnet. Zum Beispiel: „Das Unternehmen hat zwar das eigene, hochsichere Rechenzentrum im Keller. Aber der Vorstand entscheidet den Wechsel zu einem größeren Cloudanbieter. Das führt dazu, das die bisherigen IT-Betreuer zu reinen Koordinatoren degradiert werden, die den neuen Dienstleister steuern und quasi die Maus führen. Aber selbst sind sie nicht mehr direkt am System dran sind. Das führt im Ergebnis zu hoher Frustration der Mitarbeiter, die teilweise auch abwandern. Vor allem die jungen Talente möchten das nicht mitmachen“ so Meineckes Erfahrung.
Viele Köche, wenig Dokumentation
In zahlreichen Projekten zu denen er als „Ausputzer“ gerufen wird, wurden zuvor schon viele Berater zu Rate gezogen. Dabei stößt er immer wieder auf denselben Fehler: „Leider fehlen belastbare Dokumentationen, die nachvollziehbar machen, was bisher wirklich gemacht wurde“, moniert Meinecke. „Der Kunde wird zu wenig an die Hand genommen, damit er selber laufen lernt und künftig dank der digitalen Fitness schneller höher und weiter springen kann.“
Oliver Meinecke ist IT-Projektmanager und Geschäftsführer von Sowacon. Er gilt als einer der führenden Experten rund um die Themen Digitalisierung, IT-Intelligenz, IT-Aktualität, IT-Effizienz, Optimierung der IT-Infrastruktur und Homeoffice.
Von Heiner Sieger.
Lesen Sie auch: Betriebsmodell optimieren: Wie die digitale Transformation gelingt
Teilen Sie die Meldung „Digitalisierungsstrategie mit Struktur: Darauf kommt es an“ mit Ihren Kontakten: