03.02.2021 – Kategorie: Digitale Transformation
Digitalisierung in Unternehmen: „Es ist fundamental wichtig, offen zu sein“
Die Digitalisierung gehört derzeit zu den wichtigsten Herausforderungen für Unternehmen. Gregor Pillen, Vorsitzender der Geschäftsführung bei IBM Deutschland, spricht im Interview über den Kauf von NordCloud, die Marktchancen eines Spin-Offs und den großen Trend Hybrid Cloud.
Gregor Pillen, Vorsitzender der Geschäftsführung bei IBM Deutschland GmbH und General Manager Deutschland, Österreich, Schweiz, kommentiert im Interview den Kauf von NordCloud und die Marktchancen eines Spin-Offs und erklärt die Bedeutung von Hybrid Cloud für Digitalisierung in Unternehmen.
Herr Pillen, Sie haben im Dezember die Übernahme von Nordcloud, einem europäischen, in Privatbesitz befindlichen Unternehmen für Cloud-Beratungsdienstleistungen angekündigt. Was steckt dahinter und was bedeutet das für die Digitalisierung in Unternehmen?
Gregor Pillen: Durch die Übernahme von Nordcloud erlangt IBM umfassendes Fachwissen, Kompetenzen und Fähigkeiten in den Bereichen Cloud-Anwendungsmodernisierung, Migration und Managed Services, die auf über 500 Kundenprojekten mit Amazon Web Services, Microsoft Azure und Google Cloud Platform in ganz Europa basieren. Die strategische Akquisition treibt die Wachstumsstrategie von IBM im Bereich Hybrid Cloud voran und stärkt die Fähigkeiten von IBM im Bereich Cloud-Migration und -Modernisierung. Es ist auch nicht die einzige Akquisition in den vergangenen Quartalen. Die prominenteste war mit Sicherheit Red Hat. Kurz gesagt: die Übernahmen von Nordcloud ist ein weiterer Schritt in unserer Transformation hin zum führenden Anbieter für Hybrid Cloud und KI.
IBM hat eine mehr als 100-jährige Geschichte – das ist also nicht ihre erste Transformation. Hilft das beim Verstehen komplexer Veränderungen, denen Unternehmen jeder Größe heute ausgesetzt sind?
Gregor Pillen: Wir begehen dieses Jahr sogar das 110-Jährige. Doch Alter allein ist kein Kriterium. Noch wichtiger ist die Basis, auf der die Veränderungen geschehen. Bei uns sind das die Werte, die seit Jahrzehnten weit über das Geschäft hinausgehen. Die Werte sind „Engagement für den Erfolg jedes Kunden“, „Innovationen, die zählen – für unser Unternehmen und unser Umfeld“ und „Vertrauen und Eigenverantwortung in allen Beziehungen“.
Alle unsere Entscheidungen sind auf diese Werte gestützt. Und ja, als Unternehmen haben wir zahllose Krisen überstanden – sei es der Finanzcrash oder auch Naturkatastrophen. Aber eben auch Wandlungen – zum Beispiel vom Hardwarehersteller zum Beratungsunternehmen. Und wir haben immer wieder mit richtungsweisenden Technologien komplette Märkte entwickelt. Veränderung liegt sozusagen in unserer DNA. Diese Erfahrung geben wir an unsere Kunden und Partner weiter.
Digitalisierung in Unternehmen: Hier drückt der Schuh
Was bewegt Ihre Kunden gerade am meisten?
Gregor Pillen: Digital gesehen, erleben wir sehr spanende Zeiten. Digitalisierung in Unternehmen betrifft wirklich uns alle. Unternehmen aller Größen und Branchen befinden sich auf der Reise der digitalen Transformation. Die Pandemie hat diese Reise beschleunigt. Der Wandel, den wir in fünf oder sechs Jahren erwartet hätten, wird nun in weniger als zwei Jahren geschehen.
Und die Digitalisierung wirkt sich bereits auf Geschäftsmodelle und das Kundenerlebnis aus. Laut IDC glauben 66 Prozent der Unternehmen, dass ihre Betriebsmodelle digital unterstützt werden müssen, um mehr Automatisierung und kontaktlose Lösungen zu berücksichtigen, und 62 Prozent der Unternehmen sagen, dass das Kundenkontaktmodell, einschließlich Vertrieb und Support, um digitale und Self-Service-Kanäle erweitert werden sollte.
Und da kommen wir ins Spiel: Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Wettbewerbsposition neu zu gestalten, indem wir ihnen den Wandel zu mehr Digitalisierung in Unternehmen ermöglichen, angetrieben durch eine offene Hybrid-Cloud-Plattform mit ausgereiften KI-, Blockchain-, Automatisierungs- und Edge-Technologien. All das führt zunehmend zu wirklichen Veränderungen auch im Kern von Organisationen und ihren geschäftskritischen Prozessen. Das Ergebnis ist eine neue Arbeitsweise, die auf Unternehmensplattformen mit noch nie dagewesenen Data Insights aufbaut – angetrieben durch intelligente Workflows und neue Kompetenzpools.
Was leisten die von Ihnen erwähnten Unternehmensplattformen inzwischen?
Gregor Pillen: Bei Plattformen geht es zum einen darum, innerhalb von Unternehmen flexibel die Integration sicherzustellen wie man unterschiedliche Bereiche miteinander verbindet und wie man Medienbrüche vermeidet – eine Enterprise Plattform. Dies ist meistens verbunden mit einer Multi- und oder Hybrid-Cloud-Strategie. Die anderen Plattformen zielen darauf ab, komplette Industrien zu transformieren. Wir haben dafür heute schon gute Beispiele wie die Logistik-Plattform TradeLens, die auf der Blockchain basiert. IBM hat mit einem Partner, mit Maersk, im Tandem angefangen und die Plattform dann geöffnet. Heute ist TradeLens eine der mächtigsten Blockchain-Plattformen in der Logistik.
Ein weiteres Beispiel aus dem Gesundheitswesen: Die digitale Gesundheitsakte ist in der Zusammenarbeit der IBM mit der Techniker Krankenkasse und mittlerweile vielen anderen entstanden. Es ist eine Plattform, die in Deutschland läuft, BSI-zertifiziert ist und die höchsten Sicherheitsstandards erfüllt. Gesetzliche und private Kassen agieren hier auf derselben Plattform. Der Unterschied liegt letzten Endes in dem Service, den sie darauf on Top bauen. Diese Ansätze können wir mit unserem hybriden Ansatz und unserer Open-Source-Philosophie sehr glaubwürdig voranbringen, genauso wie die Integration heterogener IT-Landschaften. Es gibt einen Push in Richtung Hybrid Cloud, aber auch in Richtung von Modellen, mit denen sich alte und neue Welten sowie Zwischenlösungen besser verbinden lassen.
Die hybride Cloud in der Zukunft
Sie sprechen immer explizit von hybriden Cloud-Lösungen. Was steckt dahinter?
Gregor Pillen: Die meisten unserer Kunden, insbesondere die großen, werden in Zukunft mehrere öffentliche (public) Clouds nutzen, nicht nur eine. Sie werden auch mehrere „As-a-Service“-Dienste nutzen. Es ist auch wahrscheinlich, dass sie aufgrund von Regularien oder Latenzzeiten Dinge on premise nutzen – und wenn man das alles zusammennimmt, ist es Hybrid Cloud. Diese sind offen und sicher, bieten die Wahlfreiheit und bauen eine Brücke zwischen dem, was da ist, und dem, wo man hinwill. Im nächsten Schritt geht es dann darum, wie lassen sich Anwendungen in dieser Umgebung entwickeln? Darauf konzentrieren wir uns mit den so genannten Technologieplattformen. Hier spielt Red Hat eine wichtige Rolle.
Welche Bedeutung hat heute inzwischen der Aspekt Offenheit?
Gregor Pillen: Es ist fundamental wichtig, offen zu sein, für Entscheidungsfreiheit und die Weiterentwicklung. Aber auch, damit alle unsere Partner Innovationen für unsere Kunden einbringen können. Deshalb investieren wir auch eine Milliarde US-Dollar in unser Ökosystem. Ziel ist es, mit unserem Ökosystem so zusammenzuarbeiten, dass Partner sowohl Produkte als auch Technologien und Services auf unsere Hybrid-Cloud-Plattform bringen können. Denn dann bekommt unser Kunde das Beste aus allen Welten. Wir haben bereits einen offenen Marktplatz von Red Hat mit mehr als 100 verschiedenen Softwareanbietern, die ihre Expertise auf der OpenShift-Plattform anbieten.
Digitalisierung in Unternehmen: Datenschutz spielt eine große Rolle
Steht das nicht in Widerspruch zu Datenschutzbestimmungen und den GAIA-X-Plänen der Bundesregierung?
Gregor Pillen: Ganz im Gegenteil und hier sind wir glasklar: Wir stehen für digitale Souveränität und glauben, dass Datensicherheit von entscheidender Bedeutung ist. Das heißt, der Einzelne soll immer entscheiden können und die volle Transparenz über seine Daten haben und wissen, mit wem er es zu tun hat. Wir halten uns strikt an alle Gesetze, einschließlich der Datenschutz- und Sicherheitsgesetze, in allen Ländern, in denen wir tätig sind. Wir setzen auf Geschäftsmodelle, bei denen unsere Kunden die Hoheit über Daten und Dateneinblicke behalten, insbesondere bei sensiblen Daten.
IBM ist seit dem Start von GAIA-X im Herbst 2019 aktiv in die GAIA-X-Community eingebunden. Mit unserem Engagement für Datenschutz, Datensicherheit, offene Standards, Interoperabilität und Portabilität ist IBM vollständig auf die strategischen Ziele von GAIA-X ausgerichtet. Unsere Teilnahme an GAIA-X AISBL als Day-1-Mitglied ist daher eine ausgewogene und logische Entscheidung für IBM, diese Initiative zu unterstützen, die auf den gemeinsamen europäischen Werten eines offenen und regelbasierten Wettbewerbs basiert. Es ist auch eine Entscheidung, die von unseren Kunden unterstützt wird, da sie es uns ermöglicht, wertvolle Serviceangebote bereitzustellen, die mit GAIA-X kompatibel sind.
Sie sagten, die Pandemie beschleunigt die Digitalisierung in Unternehmen. Wie können Sie denn als Dienstleister Lösungen implementieren, solange ihre Experten gar nicht vor Ort sein können?
Gregor Pillen: Ein Beispiel: Sie kennen sicher die Hotline der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV. Die 116117 war gleich zu Anfang der Krise eine zentrale Anlaufstelle – und entsprechend frequentiert. Wir konnten da schnell unterstützen, indem wir gemeinsam einen virtuellen Assistenten entwickelt haben. Die Umsetzung gelang innerhalb weniger Tage, und zwar komplett ohne physisches Zusammenarbeiten. Das geht! Wir nutzen agile, digitale Arbeits-Tools wie Mural, Trello und Webex-Meetings und können so auch virtuell sehr effektiv mit unseren Kunden arbeiten.
Modernisierung der Infrastruktur
Im Oktober hat die IBM einen Spin-Off angekündigt. Was bleibt denn dann noch übrig?
Gregor Pillen: Wir konzentrieren uns auf die Schaffung von zwei marktführenden Unternehmen, die jeweils einen strategischen Fokus und Flexibilität haben. Das neue Unternehmen – vorerst NewCo genannt – wird sich auf den Betrieb und die Modernisierung der Infrastruktur der wichtigsten Organisationen der Welt konzentrieren. Die NewCo wird auf Anhieb der weltweit führende Anbieter von Managed Infrastructure Services sein, doppelt so groß wie sein nächster Wettbewerber, mit 19 Milliarden US-Dollar Umsatz und mehr als 4.600 Kunden in 115 Ländern.
Das klingt tatsächlich nach einer Neuaufstellung des operativen Geschäfts. IBM ist aber auch für Forschung bekannt. Was gibt Neues, speziell im Bereich Quantencomputing?
Gregor Pillen: Im Jahr 2019 stellte IBM einen 53-Qubit-Quantencomputer vor, das größte universelle Quantencomputersystem, das für die kommerzielle Nutzung verfügbar ist. Mehr als 100 globale Kunden und 200.000 registrierte Nutzer haben mehr als 160 Milliarden Experimente auf den 15 Quantensystemen des IBM Quantum Computation Center über die Cloud ausgeführt, darunter die Daimler AG, JPMorgan Chase und Anthem. Besonders stolz bin ich, dass IBM den ersten kommerziellen Quantencomputer Europas in Deutschland gebaut hat. Im Auftrag der Fraunhofer Gesellschaft wurde der Quantencomputer in unserem Rechenzentrum in Ehningen in Betrieb genommen.
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