06.12.2022 – Kategorie: Digitale Transformation
Digitaler Produktpass: Warum Coopetition dafür unerlässlich ist
Der Weg zur Kreislaufwirtschaft erfordert Transparenz, wie sie etwa ein digitaler Produktpass gewährleistet. Doch bis es soweit ist, sind noch viele Hürden zu nehmen. Das fängt schon bei der Mentalität der Verantwortlichen an.
Wirtschaftskreisläufe müssen zirkulärer werden. Das folgt erstens aus der Verantwortung, natürliche Ressourcen und die Ökosysteme des Planeten zu erhalten. Die Transformation unserer Wertschöpfungssysteme hin zu mehr Nachhaltigkeit soll menschliche Lebensgrundlagen auch für nachfolgende Generationen insgesamt bewahren. Der zweite Grund ist ökonomische Vernunft. In Zeiten von fragilen Lieferketten, Rohstoffknappheit, Preisinstabilität und regulatorischem Druck ist zirkuläres Wirtschaften ein kommender Wachstumsstabilisator. Diese Anforderungen kann ein digitaler Produktpass unterstützen.
Eine digitale Produkt-ID von der Herstellung bis zum Recycling
Zentrales Werkzeug für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft stellt der digitale Produktpass (DPP) dar. Dabei handelt es sich, kurzgefasst, um eine digitale Sammlung aller relevanten Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts von der Rohstoffbeschaffung bis zum Ende seines Lebenszyklus und darüber hinaus, das heißt, wenn die Komponenten und Materialien des Produkts recycelt oder wiederverwendet werden. Diese Informationen sollen maßgeblichen Akteuren, wie Unternehmenskunden, Verbrauchern oder Sekundärmärkten zur Verfügung stehen.
Im Idealfall enthält ein digitaler Produktpass alle Daten zu den Werkstoffen, Komponenten und chemischen Substanzen eines Produkts sowie alle relevanten Informationen aus der Lieferkette, zur Reparierbarkeit, zu den Ersatzteilen und zu den Anweisungen für die ordnungsgemäße Entsorgung. Dieses Maß an Transparenz ist unverzichtbar für jede sinnvolle Maßnahme zur Optimierung und Weiterverwendung des betroffenen Produkts, also für zirkuläre Wertschöpfung generell.
Es gibt ein paar Beispiele, wie das in der Realität aussehen kann. Etwa die Initiative Circular Cars des Weltwirtschaftsforums und des World Business Council For Sustainable Development (WBCSD), um die Automobilindustrie fit für das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu machen. Mit Catena-X will die Branche zudem ein offenes Datenökosystem schaffen, um globale Akteure miteinander zu vernetzen. PACE (Platform for Accelerating the Circular Economy) wiederum ist eine branchenübergreifende Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, die globale Zirkularität innerhalb der nächsten zehn Jahre zu verdoppeln. Das Ziel ist ambitioniert, denn heute arbeitet nur rund neun Prozent der Weltwirtschaft zirkulär.
Digitaler Produktpass: Misstrauen gegenüber der Konkurrenz überwinden
Diese Impulse sind bedeutend, sie stoßen Entwicklungen an, bilden erste Standards aus, zeigen Problemfelder auf, geben so insgesamt den Weg vor. Doch bevor ein digitaler Produktpass auch auf der Makro-Ebene funktioniert, sind noch enorme Herausforderungen zu bewältigen: Die notwendigen Daten zu erheben und miteinander zu verknüpfen, ist schwierig, und die Bereitschaft, diese zu teilen, ist in der Regel gering.
Für viele Entscheidungsträger in Unternehmen, vor allem in KMU, kann es eine beängstigende Forderung sein, Informationen über ihre Produkte und Lieferketten mit ihrem Marktsegment, das heißt ihren Wettbewerbern, zu teilen. Das spezifische Wissen ihres Unternehmens ist schließlich ein entscheidender Faktor für dessen Erfolg – und Überleben. Warum sollte man also riskieren, auch nur einen kleinen Teil davon preiszugeben? So kooperationsbegabt Menschen auch sein mögen, wenn die Absichten eines Konkurrenten nicht gänzlich klar erscheinen, neigen sie zu Misstrauen. Dieses Verhalten ist nachvollziehbar, aber nicht unbedingt produktiv. Und es steht im Konflikt mit einer flächendeckenden Einführung von DPP.
Neue Regularien und passende Technologien
Was muss also geschehen, um gegenseitiges Misstrauen zwischen Unternehmen abzubauen? Die Lösung ist multidimensional. Zum einen kommt es auf den Gesetzgeber an. Der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft beispielsweise gibt einen detaillierten Ausblick auf die regulatorischen Spielfelder, auf denen die EU relevante Akteure dazu bewegen möchte, neue Wege zu gehen. Zum anderen braucht es richtige Technologieangebote. In der Regel sind IT-Systeme auf individuelle Bedürfnisse spezialisiert und nicht darauf ausgelegt, große Mengen standardisierter Daten mit dem Markt auszutauschen. Deshalb werden in Zukunft Angebote, wie die von CircularTree und Q-nnect entscheidend für die Umsetzung von DPP sein. Q-nnect agiert mit seiner Q!-Plattform als ein Broker zwischen verschiedenen Systemen und managet den Austausch anonymisierter Daten zwischen Wettbewerbern. Dadurch, in Verbindung mit einem Business Layer von CircularTree, können Unternehmen interne Daten künftig auf mehreren Plattformen teilen.
Digitaler Produktpass erfordert duale Denkweise für den Erfolg
Doch selbst wenn gesetzliche Bestimmungen und Technologieverfügbarkeit für ausreichend Druck und Anreiz sorgen, kann ein Instrument wie ein digitaler Produktpass nicht ohne Mentalitätswandel in der Führung bei Unternehmen funktionieren. Betriebsgeheimnisse und originäres Know-how zu sichern, wird auch weiterhin wichtig sein. Dennoch muss sich bei Entscheidern die Einstellung darüber ändern, wie sich in Zukunft Unternehmenserfolge sichern lassen.
Die Herausforderungen unserer Zeit verlangen es, sich dem Markt und Wettbewerbern gegenüber zu öffnen. Das Motto muss daher lauten: mehr Coopetition. Unternehmen müssen für ein gemeinsames Ziel wie DPP kooperieren und strategische Allianzen bilden, aber sie sollen sich auch weiterhin gegenseitig durch Wettbewerb zu Innovationen antreiben. Im Ergebnis verschieben sich die Grenzen zwischen Kooperation und Konkurrenz, sie werden unschärfer. Das erfordert viel duales Denken, viel Abwägung und Flexibilität. Doch nur so kann gelingen, was eine kollektive Aufgabe ist: das Leben, wie wir es kennen, auch für unsere Nachkommen zu ermöglichen.
Über den Autor: Jörg Walden ist Serial Entrepreneur und unter anderem Gründer von iPoint-systems und CircularTree. Seine Erfahrung und Expertise in der Technologiebranche, Softwareentwicklung und Unternehmensführung erstreckt sich auf über 30 Jahre.
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