28.06.2013 – Kategorie: Handel, IT, Management, Recht, eCommerce

Die Rücksendegebühr kommt – Konsequenzen aus den neuen Handlungsmöglichkeiten

Die Forschungsgruppe Retourenmanagement hat zu dieser Fragestellung vor kurzem eine Studie durchgeführt. Von 302 befragten Unternehmen möchten 81,8 Prozent die Rücksendekosten künftig auf die Kunden übertragen. Es ist anzumerken, dass das Bestreben mit zunehmender Unternehmensgröße deutlich abnimmt. Anders ausgedrückt stehen kleine Distanzhändler den neuen Gestaltungsspielräumen aufgeschlossener gegenüber als die großen Anbieter. Doch sollten die Marktteilnehmer ihre Pläne tatsächlich in die Praxis umsetzen oder besser davon Abstand nehmen? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die Entscheidungsträger drei Effekte beachten und gegeneinander abwägen:

  • Rücksendegebühren geben dem Kunden einen Anreiz, die Kaufentscheidung bewusster zu treffen. Dadurch sinkt bereits während der Kaufanbahnung die Rücksendewahrscheinlichkeit. Kommt es trotzdem zu Retouren, beteiligt sich der Kunde an den entstehenden Aufwendungen. Insgesamt sinken deshalb die Retourenkosten.
  • Die Händler haben die Möglichkeit, die erzielten Kosteneinsparungen über Preissenkungen an die Kunden weiterzugeben. Entscheiden sie sich hierfür, steigt in der Regel die Nachfrage.
  • Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass insbesondere risikoscheue Kundengruppen aufgrund der Rücksendegebühren von einer Bestellung absehen und auf Wettbewerber ausweichen. In diesen Fällen entgehen den Unternehmen Umsätze und somit Deckungsbeiträge.

Gründe für eine Einführung von Rücksendegebühren

Die Einführung von Rücksendegebühren erweist sich als sinnvoll, wenn die drei zum Teil gegenläufigen Einzeleffekte in der Summe eine positive Gesamtwirkung entfalten. Dies trifft insbesondere bei kleinen Händlern zu, die eine Abgrenzung zu den Mitbewerbern über den Preis suchen. Kleinere Anbieter sind aufgrund der fehlenden Prozessautomatisierung und der geringeren Verhandlungsmacht gegenüber Logistikdienstleistern deutlich höheren Retourenkosten ausgesetzt. Folglich verfügen sie über ein dementsprechend großes Einsparpotenzial, das durch niedrigere Preise an die Kunden weitergegeben werden kann. Auf diese Weise ist eine Differenzierung gegenüber Konkurrenten möglich, die keine Gebühren erheben.

Außerhalb des Distanzhandels belegen zahlreiche Beispiele, dass derartige Strategien gerade bei preisfixierten Kundengruppen äußerst erfolgreich sind. So beruht das Konzept der Billigflieger-Airlines darauf, sich auf die Kernleistung „Flug“ zu konzentrieren und diese so günstig wie möglich anzubieten. Sämtliche Extraleistungen schlagen mit Zusatzgebühren zu Buche. Weiterhin weisen etwa die Deutschen Bahn oder diverse Hotelketten häufig zwei verschiedene Tarife aus: einerseits ein reduziertes Best-Preis-Angebot beziehungsweise Sparticket, andererseits das reguläre Standardangebot beziehungsweise -ticket. Die beiden Alternativen unterscheiden sich meist nur durch die fehlende Stornierbarkeit der günstigeren Variante, weshalb der Preisunterschied einer Rücknahmegebühr bereits sehr nahe kommt.

Das Aufsplitten des „Verkaufspreises“ in die Einzelkomponenten „Warenpreis“ und „Rücksendegebühr“ unterstützt eine Marktsegmentierung, die eine bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse fördert. So wie nicht jeder Passagier an Bord eine Mahlzeit wünscht, benötigt ein Verbraucher nicht immer eine Rücksendeoption, für die er nach dem aktuellen Modell aber de facto über den Verkaufspreis mitbezahlt. Durch die neue Gesetzeslage kann der Kunde künftig zwischen Distanzhändlern mit und ohne Rücksendegebühren auswählen. Grundlegende Voraussetzung, dass sich ein Verbraucher für einen Anbieter mit Rücksendegebühren entscheidet, ist ein niedrigerer Warenpreis. Je höher der wahrgenommene Unterschied, desto größer ist das Erfolgspotenzial der Gebührenstrategie.

Jene Preisdifferenzen bilden aus Verbrauchersicht gleichzeitig einen finanziellen Anreiz, das Einkaufsverhalten zu verändern, indem man Test- und Kaufvorgang voneinander trennt. Ein solches Szenario kann dazu führen, dass Kunden Waren zweimal bestellen. Zunächst zum Testen bei einem verhältnismäßig teuren Versandhändler, der Retouren als kostenfreie Serviceleistung versteht, anschließend ein zweites Mal beim günstigsten Anbieter. Dass dieser eine Rücksendegebühr erhebt, ist unerheblich, da der Kunde im Rahmen der ersten Bestellung bereits sämtliche Retourengründe ausschließen konnte. Alternativ ist denkbar, dass sich Kunden im stationären Handel ausführlich beraten lassen, bevor sie das Produkt anschließend beim günstigsten Anbieter im Internet ordern. Bleibt die Frage nach den vermutlichen Auswirkungen der Rücksendegebühren auf die einzelnen Interessensgruppen.

Im Distanzhandel wird sich der Preiswettbewerb intensivieren

Für die Distanzhändler wird sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Preiswettbewerb intensivieren. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sich Rücksendegebühren aufgrund der unsicheren Eintrittswahrscheinlichkeit im Gegenteil zu Versandkosten schlecht in das Ranking von Preissuchmaschinen integrieren lassen. Rücksendegebühren wirken sich weiterhin auf das Retourenverhalten aus. Für Bestellungen mit einem hohen Rücksenderisiko werden  Verbraucher verstärkt auf Anbieter ohne Gebühren zurückgreifen, weshalb ein Anstieg von deren Retourenquoten als sicher gilt. Umgekehrt sinken die Quoten von Händlern, die Rücksendegebühren einfordern.

Viele stationäre Händler erhoffen sich durch die Einführung von Rücksendegebühren, dass sich möglichst viele Kunden vom Onlinehandel abwenden und wieder im Ladenlokal kaufen. Dieser Optimismus erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch als unbegründet. Sicherlich gibt es Kundengruppen, die aufgrund von Rücksendegebühren von einer Bestellung bei einem speziellen Händler Abstand nehmen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass diese Kunden den stationären Handel aufsuchen. Deutlich realistischer erscheint vielmehr die Option, dass sie zu einem alternativen Versandhändler ohne Gebühren wechseln. Ferner vergrößern die mit den Rücksendegebühren einhergehenden Preissenkungen die durch den Verbraucher wahrgenommenen Preisunterschiede. Damit wird die relative Wettbewerbsfähigkeit des stationären Handels weiter geschwächt.

Multi-Channel-Anbieter als heimliche Gewinner?

Als heimliche Gewinner könnten sich Multi-Channel-Anbieter entpuppen, die sowohl im Internet als auch flächendeckend im stationären Handel agieren. Ihnen bieten sich im Vergleich zu reinen Distanzhändlern flexiblere Ausgestaltungsmöglichkeiten. So kommt es in Betracht, dass sie bei einer Rücksendung mit einem Logistikdienstleister Gebühren erheben, bei einer Rückgabe im Laden aber darauf verzichten. Der finanzielle Anreiz, die Produkte in den Geschäften zurückzugeben, führt zu einem positiven Nebeneffekt. Der Rückgabeprozess wird entanonymisiert und es entsteht in einer Verkaufsumgebung ein weiterer Kundenkontakt mit Absatzpotenzial. Beispielsweise kann ein Verkäufer nach der Erörterung des Rückgabegrunds direkt ein Alternativprodukt anbieten.

Verbraucher können sich einerseits auf fallende Preise freuen. In der eingangs angeführten Händlerumfrage gaben die Teilnehmer an, dass sie bei einer Rücksendegebühr von durchschnittlich 5,60 Euro den Preis eines Produkts von 50,00 auf 46,93 Euro (-6,1%) senken. Andererseits verorten Rücksendegebühren das Verursacherprinzip im Retourenmanagement. Wie das voranstehende Beispiel zeigt, ist die Vorstellung einer durch das Marketing proklamierten „kostenlosen Retoure“ in der Realität nicht haltbar, sondern im Verkaufspreis einkalkuliert. Anders ausgedrückt subventionieren Verbraucher, die ihre Kaufentscheidung wohlüberlegt treffen und entsprechend weniger zurückschicken, jene Kundengruppen, die viel und häufig retournieren. Es lässt sich also sagen, dass durch Rücksendegebühren die Verteilungsgerechtigkeit zunimmt.

Fazit

Abschließend sollten im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung die Umwelteffekte Berücksichtigung finden. Im Jahr 2012 wurden im deutschen Versandhandel schätzungsweise 286 Millionen Retourenpakete transportiert und vereinnahmt. Jedes Paket zeichnet für eine Umweltbelastung von etwa 500 Gramm CO2-Äquivalente verantwortlich. Ob Rücksendegebühren die Umweltbilanz des Retourenmanagements verbessern, ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht absehbar. Zwar lassen Gebühren bewusstere Kaufentscheidungen und somit weniger Rücksendungen vermuten. Jedoch kann eine Entkopplung von Test- und Kaufvorgängen diesen positiven Einfluss überkompensieren und in einen negativen Gesamteffekt münden.

Insgesamt machen die Ausführungen deutlich, dass Rücksendegebühren das Potenzial besitzen, die Marktstruktur und das Kundenverhalten zu verändern. Damit betrifft das Thema auch große Anbieter, die aktuell gar nicht planen, derartige Abgaben zu erheben. Deren Reaktion könnte darin bestehen, Retourengebühren im Sinne des Kunden umzuinterpretieren. Wie das geht, zeigt der Fashion-Händler Bonprix, der dem Kundenkonto für jede Bestellung ohne Rücksendung seit einiger Zeit einen Betrag in Höhe von 3 Euro gutschreibt.

Autoren: Björn Asdecker ist seit August 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Gründer und Initiator der Forschungsgruppe Retourenmanagement. Die Forschungsgruppe verfolgt das Ziel, Wissenschaft und Praxis enger zu verknüpfen. http://www.retourenforschung.de

Alexander Weigel war bis Ende 2012 Student der Betriebswirtschaftslehre an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Mitarbeiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement. Passend zum Studienschwerpunkt verfasste er im Sommer 2012 seine Diplomarbeit zum Retourenmanagement. http://www.aweigel87.com/kontakt

Dieser Beitrag erschien erstmals im Schwerpunkt „Logistik & Fulfillment, e-commerce Magazin 05/2013

 


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